Denkmäler und deren mögliche Rolle in der Erinnerungskultur (einer aktiven, geleiteten Erinnerung an historische Ereignisse) wurden und werden zuletzt heftig diskutiert. Daher lag es auf der Hand, dies im Seminarfach am Hannover-Kolleg zu thematisieren. Im Schuljahr 2020/21 führten Schülerinnen und Schüler ein Geschichtsprojekt zu Denkmälern in Hannover und Umgebung durch. Die Kursmitglieder wählten die Denkmäler, die an historische Ereignisse oder Personen erinnern, selbstständig aus. Ziel war es, diese zu analysieren und herauszuarbeiten, welche Erinnerungsangebote bzw. Werte sie repräsentieren: Sind sie im Sinne einer offenen, demokratischen Gesellschaft noch zeitgemäß?
Denkmäler nicht zwangsläufig selbsterklärend – Hintergrundinformationen fehlen
Neben prominenten Beispielen wie dem Ernst-August-Denkmal vor dem Hauptbahnhof rückten auch unbekanntere in den Fokus des Kurses: zum Beispiel das Denkmal „Neue Synagoge“ in der Calenberger Neustadt, das Waldersee-Denkmal an und der Pelikan-Brunnen in der Eilenriede, der Ehrenfriedhof am Maschsee oder das Gandhi-Denkmal unweit des Neuen Rathauses.
Während bei den Denkmälern, die sich als Teil der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur mit Holocaust und Shoa befassen, Informationstafeln Hintergründe erklären, fehlen Ausführungen zum historischen Kontext gerade bei aktuell umstrittenen Denkmälern wie dem Pelikan-Brunnen oder dem Waldersee-Denkmal. Die Schülerinnen und Schüler fragten sich zu Recht, warum ein Denkmal wie das für den Grafen von Waldersee, das deutsches Weltmachtstreben und Kolonialismus repräsentiert, noch immer unkommentiert in Hannover steht. Sie diskutierten gleichzeitig unterschiedliche Formen der Denkmalskultur. So lädt das offene und begehbare Holocaust-Mahnmal auf dem Opernplatz zum Verweilen ein, wird teilweise aber auch als Partylocation missbraucht und vermüllt.
Differenzierte Betrachtung bei jedem Einzelfall
Auch wenn aufgrund der Corona-Pandemie die Arbeit in Bibliotheken erschwert war, lernten alle Kursmitglieder interessante, aber bislang unbekannte Aspekte der Geschichte der Stadt kennen, in der sie leben. Bei jedem Denkmal wurde ihnen deutlich: Jede Zeit setzt unterschiedliche Akzente bei der Erinnerung. Und die Bewertung jedes Denkmals erfordert eine differenzierte Betrachtungsweise.
25.07.2021, Dr. Björn Felder (felder@hannover-kolleg.de)
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Denkmäler und deren mögliche Rolle in der Erinnerungskultur (einer aktiven, geleiteten Erinnerung an historische Ereignisse) wurden und werden zuletzt heftig diskutiert. Daher lag es auf der Hand, dies im Seminarfach am Hannover-Kolleg zu thematisieren. Im Schuljahr 2020/21 führten Schülerinnen und Schüler ein Geschichtsprojekt zu Denkmälern in Hannover und Umgebung durch. Die Kursmitglieder wählten die Denkmäler, die an historische Ereignisse oder Personen erinnern, selbstständig aus. Ziel war es, diese zu analysieren und herauszuarbeiten, welche Erinnerungsangebote bzw. Werte sie repräsentieren: Sind sie im Sinne einer offenen, demokratischen Gesellschaft noch zeitgemäß?
Seminarfach Geschichte – Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur
Im Seminarfach sollen die Schülerinnen und Schüler laut niedersächsischem Lehrplan auf die Anforderungen im Hochschulstudium vorbereitet werden (Wissenschaftspropädeutik). Das bedeutet in diesem Fall das Erstellen einer achtseitigen Hausarbeit nach wissenschaftlichen Kriterien im zweiten Semester. Hierzu wurden zunächst Themen wie Literaturrecherche, Strukturieren von Hausarbeiten, richtiges Zitieren, Erstellen von Literaturverzeichnissen u. a. trainiert. Inhaltlich haben sich die Schülerinnen und Schüler zunächst aktuelle gesellschaftliche Debatten zu Denkmälern oder zur Umbenennung von Straßennamen in Hannover angesehen, wie im Falle der General-Wever-Straße.[1] Methodisch wurden Modelle der Erinnerungskultur und speziell das Modell der Denkmalskultur nach Wolfgang Hartwig behandelt,[2] um eine Grundlage für die Analyse von Denkmälern zu erarbeiten. Hintergedanke war, dass das Seminarfach sich auch mit abiturrelevanten Themen befasst und die Studierenden sich so zusätzlich auf das Abitur vorbereiten, in diesem Fall war es ein Vorgriff auf das Thema „Geschichts- und Erinnerungskultur“ im Semester 13/2.
Ergebnisse
Der erste Schritt des Projekts bestand darin, dass sich jeder Studierende eigenständig ein Denkmal in Hannover oder Umgebung suchte, um dies zu analysieren und im Kurs vorzustellen. Dies war interessant, da neben prominenten Stücken wie dem Ernst-August-Denkmal vor dem Hauptbahnhof auch solche in den Fokus rückten, die für die meisten Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer eher unbekannt waren – wie das Denkmal „Neue Synagoge“ in der Calenberger Neustadt, das Waldersee-Denkmal und der Pelikan-Brunnen in der Eilenriede, der Ehrenfriedhof am Maschsee oder das Gandhi-Denkmal unweit des Neuen Rathauses.
Auffallend war, dass Denkmäler, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind bzw. sich mit der jüngsten, dunklen Geschichte wie dem Nationalsozialismus oder dem Holocaust, der Shoa, befassen und damit Teil der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur sind, meist durch aussagekräftige Informationstafeln begleitet werden. Dies ist etwa der Fall bei dem 1993 errichteten Denkmal „Neue Synagoge“ (Bergstraße), welches an die Zerstörung der Hannoverischen Synagoge während der Reichspogromnacht am 9. November 1938 erinnert. Aufgrund von Vandalismus und antisemitischen Schmierereien ist das Denkmal heute durch Zäune und ein Tor abgesperrt.
Ganz anders ist das Konzept des Holocaust-Mahnmals auf dem Opernplatz, das begehbar ist und auch zum Verweilen einlädt. Problematisch ist hierbei, wie die Referentin aufzeigte, dass das Denkmal häufig von Jugendlichen als Partylocation missbraucht wird und bei solchen Anlässen auch vermüllt. Dies führte bereits zu Kontroversen um die Nutzung (ähnlich wie beim zentralen Holocaust-Mahnmal in Berlin), wobei die Offenheit andererseits auch für Bürgernähe spricht.
Öffentlich zugänglich, aber kaum bekannt ist der Ehrenfriedhof am Maschsee Nordufer, der an die Ermordung von 526 Menschen erinnert, darunter kriegsgefangene Rotarmisten, aber auch Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge aus der Sowjetunion, Westuropa und Südeuropa, die noch im April 1945 von der SS erschossen wurden. Der Bau des Denkmals war 1945 von den britischen Besatzungsbehörden angeordnet worden, ist aber inzwischen fest in der städtischen Erinnerungskultur verankert. In den 1950er Jahren zu Zeiten des Kalten Krieges forderten Stadträte immer wieder, den Friedhof zu verlegen – wie ein Schüler aufgrund von Archivmaterialien nachwies. Zudem wurde der Ort zeitweise wenig gepflegt und sowjetische Symbole wurden entfernt. Nach der Wiedervereinigung und dem Ende des West-Ost-Konflikts erlangte er eine wichtige Bedeutung als Ort der Erinnerung an Krieg und Faschismus.
Informationstafeln fehlen dagegen vor allem bei jenen Denkmälern, die heute umstritten sind und zum Teil heftig diskutiert wurden und werden. Ein eher unscheinbares Denkmal ist der Pelikan-Brunnen in der Eilenriede (Waldersee-Straße/Fritz-Beindorff-Allee), der dem Unternehmer Dr. Fritz Beindorff (1860-1944) gewidmet ist. Beindorff ist vor allem bekannt als ehemaliger Eigentümer der Pelikan AG. Er war u. a. Senator der Stadt Hannover und tat sich als Mäzen hervor: Er war Mitbegründer der Kestner-Gesellschaft. Auf der Negativseite findet sich sein Engagement für den Nationalsozialismus: Zwar war er kein Parteimitglied, hat aber im Jahr 1932 eine Eingabe von Industriellen an Reichpräsident Hindenburg, die die Kanzlerschaft Hitlers forderte, mitunterzeichnet.[3] Eine wissenschaftliche Studie aus dem Jahr 2019 unterstellt Beindorff „ideologische Konformität“ bezüglich des NS-Regimes. Zudem profitierte die Firma Pelikan nicht nur von der NS-Kriegswirtschaft, sondern vermutlich auch von einer „Arisierung“ in Polen, also der Enteignung jüdischer Unternehmer.[4] Nachweisbar ist allerding der Einsatz von über tausend Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in den Jahren 1940 bis 1944: Zudem wurden auf dem Firmengeländen Arbeitslager eingerichtet – allerdings hatte sich Firmeninhaber Beindorff Anfang der 1940er Jahre sukzessive aus der Firmenleitung zurückgezogen.[5] Die geplante Umbenennung zumindest der Straße konnten die Abgeordneten der Grünen 2019 im Bezirksrat Vahrenwalde/List mangels Unterstützung der SPD nicht durchsetzen.[6] Der referierende Schüler war jedoch der Meinung, man solle den Brunnen umwidmen. Am Pelikan-Brunnen, der 1961 von einer privaten Stiftung erbaut wurde, findet man bisher keinerlei Hinweise zur umstritten Figur Beindorff oder der Firma Pelikan.
Ebenso unkommentiert steht immer noch das Waldersee-Denkmal (Hohenzollernstraße) in der Eilenriede, eine Reminiszenz an ein deutsches Kolonialabenteuer: General Alfred Graf von Waldersee (1832-1904) war ein hochdekorierter preußischer Militär. Das Denkmal erinnert an seinen Oberbefehl über das deutsche Expeditionscorps, das 1900/01 den so genannten „Boxeraufstand“ (Boxerkrieg) in China niederschlagen sollte.[7] Dabei handelte es sich aus heutiger Sicht um einen nationalen Aufstand gegen die westlichen Kolonialmächte, die Teile von China unter sich aufgeteilt hatten. Waldersee kam zu spät in Peking an, konnte dort aber noch Strafexpeditionen gegen Aufständische durchführen. Dabei soll er brutal und inhuman vorgegangen sein, wie es Kaiser Wilhelm II. in seiner „Hunnenrede“ gefordert hatte. Die Schülerinnen und Schüler fragten sich zu Recht, warum ein solches Denkmal, das deutsches Weltmachtstreben und Kolonialismus repräsentiert, noch immer in Hannover steht, zumal es unkommentiert ist. Waldersee wird als Kreuzritter mit Schwert und Schild dargestellt, der pikanterweise auf einem (chinesischen) Drachen steht – offensichtlich Ausdruck von Rassismus und wilhelminischen Selbstverständnis: „dem ruhmreichen Streiter für die Größe Deutschlands“, wie es auf der Rückseite der Statue heißt. Immerhin wurde dieses Denkmal zuletzt stark diskutiert.[8] Der Umgang mit solchen kolonialen Relikten kann unterschiedlich gehandhabt werden, doch die Schülerinnen und Schüler waren sich einig, dass das Denkmal zumindest nicht ohne erklärende Tafel bleiben kann.
Ein Projekt zu Denkmälern in Hannover kann vermutlich nicht auskommen ohne die Behandlung der Statue des ehemaligen Königs von Hannover, Ernst-August (1771-1851), die auf dem Bahnhofvorplatz steht. Der Monarch ist vor allem aufgrund seiner dezidiert antidemokratischen Haltung in die Landesgeschichte eingegangen, da er umgehend nach seiner Krönung 1837 die bis dato liberale Landesverfassung außer Kraft setzte. Als sieben Professoren von der Universität Göttingen dagegen protestierten, wurden sie entlassen und zum Teil des Landes verwiesen. Daran erinnert in Göttingen u.a. ein Gegendenkmal. In Hannover selbst wurde 1998 zur Erinnerung an die Göttinger Sieben ebenfalls ein Denkmal vor dem niedersächsischen Landtag errichtet.
Das Denkmal für Ernst-August, das 1861 durch aristokratisch-militärische Eliten errichtet wurde – und nicht durch das „Volk“, wie der Sockel suggeriert – wurde zuletzt ebenfalls Ziel erinnerungspolitischer Debatten.[9] Aber bis heute werden die Hannoveranerinnen und Hannoveraner, wenn sie sich „unter dem Schwanz“ treffen, nicht über die Person informiert, die dort auf sie herabblickt.
Auch wenn aufgrund der Corona-Pandemie die Arbeit am Projekt, speziell die Arbeit in Bibliotheken erschwert war, kamen alle Kursteilnehmerinnen und Kursteilnehmer zu vorzeigbaren Ergebnissen und lernten unbekannte Aspekte der Geschichte der Stadt kennen, in der sie leben. Gleichzeitig wurde deutlich, dass die Bewertung von Denkmälern eine differenzierte Betrachtungsweise erfordert.
25.07.2021, Dr. Björn Felder
Liste der im Kurs behandelten Denkmäler in Hannover und Umgebung:
- Der Ehrenfriedhof Maschsee-Nordufer
- Das Ernst-August-Denkmal
- Der Dr. Fritz Beindorff gewidmete Pelikan-Brunnen
- Das Gutenberg-Denkmal
- Das Holocaust-Mahnmal
- Das Leibniz-Denkmal
- Das Mahatma Gandhi Denkmal
- Das Marschner-Denkmal auf dem Opernplatz
- Das Denkmal „Neue Synagoge“
- Das Waldersee-Denkmal
- Die Waterloo-Siegessäule
- Stolpersteine in Lehrte
[2] Vgl. etwa: Wolfgang Hartwig: Politische Kultur der Moderne. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen, 2011.
[3] Annemone Christians, Tinte und Blech, Eine Pilotstudie zu Fritz Beindorff (1860-1944) und den Günther Wagner Pelikan-Werken im Nationalsozialismus, Leuenhagen & Paris, 2018, S.51f.
[4] Die Umstände konnten die Autoren letztlich nicht endgültig rekonstruieren: ebd., S. 75.
[5] Ebd. 81– 89f; 99f. zum Einsatz der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter: Vgl. Janet Anschütz / Irmtraud Heike: Feinde im eigenen Land. Zwangsarbeit in Hannover im Zweiten Weltkrieg. 2. Auflage, Bielefeld 2000.
[6] So die Aussage von Ratsmitglied Jürgen Müller (Die Grünen), 22.7.2021; vgl. auch: https://vahrenwald-list.gruene-hannover.de/gruene-seiten/umbenennung-fritz-beindorff-allee-und-porscheweg (22.07.2021).
[7] Vgl. etwa: Dietrich Schubert: Hoetgers Waldersee-Denkmal von 1915 in Hannover, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch, 43 (1982), S. 231–246.
[8] Vgl. Simon Benne: Debatte um Denkmal und Straße: Was wird aus „Weltmarschall“ Waldersee? In: HAZ, 13.12. 2020.
[9] Vgl. Christian Carstens/ Daniel Puskepeleitis: „Wir wollen unser Reiter-Denkmal behalten“, (17.07.2020) in:BILD: https://www.bild.de/regional/hannover/hannover-aktuell/debatte-um-ernst-august-wir-wollen-unser-reiter-denkmal-behalten-71929374.bild.html, (22.07.2021)