Freiheit und Demokratie sind etwas Wertvolles

Um in der DDR in das Visier des „Ministeriums für Staatssicherheit“ zu geraten, bedurfte es nicht viel. Eindrücklich zeigte sich das für die E-Phase des Hannover Kollegs in der Gedenkstätte Moritzplatz in Magdeburg beim Gespräch mit einem Zeitzeugen. Sein einziges „Verbrechen“: der Wunsch auf Ausreise aus der DDR. Auch fast vier Jahrzehnte später sind persönlichen Auswirkungen dieses Wunsches nach Freiheit und Selbstbestimmung spürbar.

Mit 18 fehlte Toralf S. in der DDR die „Luft zum Atmen“. Anfang der 1980er Jahre wollte er andere Kulturen kennenlernen, reisen, die Möglichkeit zum Abitur und Studium haben – ohne den permanenten Druck der Anpassung ans Kollektiv. Er beschloss, aus der „Freien Deutschen Jugend“ (FDJ) auszutreten und stellte vier Ausreiseanträge. Mit Schwierigkeiten hatte er gerechnet, auch mit beruflichen Nachteilen, nicht aber mit seiner Verhaftung, fünf Monaten Untersuchungshaft am Magdeburger Moritzplatz und anschließender Verurteilung zu 16 Monaten Gefängnis wegen der „Beeinträchtigung der staatlichen und gesellschaftlichen Tätigkeit in der DDR“.

Psychologische Folter gegen Andersdenkende

Perfide und systematisch arbeitete die „Stasi“ an ihrem Ziel: der psychologischen „Zersetzung“ politisch Andersdenkender. Das Geräusch, wie die Zellentür verschlossen wurde, ist bis heute im Kopf des inzwischen 60-Jährigen. Reduziert auf eine Nummer erlebte er drei Wochen Einzelhaft ohne jeglichen Kontakt nach draußen, sehnte sich irgendwann sogar nach seinem Vernehmer. Die Hoffnung auf einen Zellennachbarn erfüllte sich nicht. Das zweite Bett blieb leer. „Alles spielt sich dann in deinem Kopf ab. Wer dabei nicht verrückt werden will, muss sich irgendetwas ausdenken, und wenn man in Gedanken Skat spielt,“ berichtet der Magdeburger.

Schlafentzug über mehrere Wochen, da alle zehn Minuten nachts das Licht angeschaltet wird, wirkten. Ebenso die versetzten Schichten aus Glasbausteinen, die selbst dem hellsten Sonnenstrahl, dem frischesten Wind den Weg in die Zelle versperrten. Auch der Blick in ihr Spiegelbild blieb den Inhaftierten monatelang verwehrt („Du siehst dich nicht mehr, das macht etwas mit dir.“). Nicht aber das Kinderlachen vom Pausenhof der benachbarten Schule. Die Assoziationen während des Freigangs im Betonblock auf zehn Quadratmetern waren erwünscht. „Die Sehnsucht wurde dann einfach zu groß,“ erinnert sich Toralf S. – insbesondere, wenn Inhaftierte an ihre eigenen Kinder dachten.

Keinerlei rechtstaatliche Prinzipien

Einen Rechtsanwalt sah der damalige Facharbeiter erst, als er sein Geständnis in der Untersuchungshaft bereits unterschrieben hatte. Nach dem Urteil wurde er ins Gefängnis nach Cottbus verlegt. Dort erlebte er, dass sich die Haftbedingungen noch verschlechtern konnten. Neun Personen in einer Zelle, darunter Kriminelle, mit dem Ziel der „Selbsterziehung“ und eine Essensversorgung, bei der der Zwanzigjährige nach 14 Monaten noch 60 Kilo wog.

1987, zwei Monate vor Haftende, kaufte die Bundesrepublik Toralf S. für 90 000 DM frei – ein lukrativer sozialistischer Menschenhandel für West-Devisen. Bei der Erinnerung an seine ersten Momente in Freiheit bricht ihm auch im Jahr 2025 die Stimme. Zu überwältigend wirken die Gefühle nach.

Toralf S. engagiert sich intensiv für die Zeitzeugenarbeit in der Gedenkstätte Moritzplatz. Wenn er dort heute auf dem Innenhof des ehemaligen Stasi-Untersuchungsgefängnisses steht und eine Zigarette raucht, erscheint ihm das immer noch surreal. Seine Motivation: Zu vermitteln, wie ein Lebensweg in einer Diktatur plötzlich enden kann, wie es sich niemand zuvor vorstellen konnte. Seine Botschaft 35 Jahre nach dem Mauerfall: Demokratie und Freiheit sind etwas Wertvolles.

(Scr, 12.01.2025)